von Anton Posset, aufbereitet von Manfred Deiler.
Erstveröffentlichung in: Landsberg im 20. Jahrhundert – Themenhefte zur Landsberger Zeitgeschichte – Heft 3: „Der nationalsozialistische Wallfahrtsort“ Landsberg: 1933 – 1937: Die „Hitlerstadt“ wird zur „Stadt der Jugend“ -ISBN: 3-9803775-2-0-9.
1937 fällt die Entscheidung, dass im Anschluss an die Reichsparteitage der NSDAP Abordnungen der Hitlerjugend aus dem ganzen Reich nach Landsberg marschieren. In der Haftanstalt und auf dem Hauptplatz in Landsberg finden die großen Abschlusskundgebungen statt, bei denen der Reichsjugendführer Baldur von Schirach zu den Jungen spricht. Die Bemühungen Landsbergs, die „Hitlerzelle“ zum „Nationalen Heiligtum“ hochzustilisieren, haben gefruchtet: Landsberg erhält den nationalsozialistischen Ehrentitel „Stadt der Jugend“ und wird so zur drittwichtigsten Stadt des Nationalsozialismus im Deutschen Reich.
In der Stadtratssitzung vom 4. Mai 1937 erfahren die nationalsozialistischen Stadträte, “dass auf Anordnung des Reichsführers…künftig jedes Jahr –erstmals am 19. September 1937 – anschließend an den Reichsparteitag etwa 1.000 HJ-Fahnen und damit ca. 3.000 Hitlerjungen nach Landsberg kommen, wo vor der Hitlerzelle und auf dem Hauptplatz eine Großkundgebung der HJ stattfinden und bei der der Reichsjugendführer sprechen wird. Die Kosten der Kundgebung, deren dekorative Ausstattung allein erhebliche Mittel erfordert, müssen nach Ansicht der Ratsherren und des Bürgermeisters von der Reichsführung der HJ mitgetragen werden.“
Fanden die bisherigen „Adolf Hitler-Märsche“ in Nürnberg ihren Höhepunkt, so wurde 1937 Landsberg das abschließende Ziel der HJ-Märsche.
„Die 400 Bannfahnen werden von jetzt ab im Anschluss an den Reichsparteitag nach Landsberg a. Lech zu jenem Haus getragen, in dem Adolf Hitler sein Werk „Mein Kampf“ schrieb, in dem das Gesetz des deutschen Volkes für viele Jahrtausende niedergelegt wurde. Dort wird die Hitlerjugend nach dem großen Erlebnis des Reichsparteitages ihrem Führer den Dank für das durch ihn geschaffene Deutschland abstatten. Die Hitlerjugend wird sich an jener Stätte immer ihrer großen Aufgabe bewusst sein und sich der Tradition des Nationalsozialismus würdig erweisen.“
Die Richtlinien und die Ausrichtung des „Adolf-Hitler-Marsches“ sind vorgegeben. Die Hitlerjugend aus dem „Gebiet Hochland“ und der Stadt Landsberg ist bereits auf dem Weg nach Nürnberg, da laufen die Vorbereitungen in Landsberg auf Hochtouren.
Die Organisationsabteilung des „Gebietes Hochland“ beauftragt den Bannführer Panzer mit der Leitung der Vorbereitungen. Für 1.600 Hitlerjungen müssen Quartiere gefunden werden: im Waitzingerbräu, der neuen Turnhalle bei der Kaserne, in der Viehhalle, der Turnhalle und im Zederbräu. Mit der Errichtung dieser Unterkünfte wird die HJ Landsberg beauftragt. Bis zum 17. September 1937, wenn die Marschkolonnen in Landsberg eintreffen, muss alles fertig sein. Am Nachmittag ist dann „dienstfrei“. Fahnen werden am Fahnenstand aufgestellt, vor dem die Hitlerjugend und das Jungvolk Wache halten.
Die Nachrichtengefolgschaft Landsberg übernimmt nach einigen Vorübungen im Landkreis eine „wichtige“ Arbeit.
„Wir mussten uns rüsten für die größten Tage, die Landsberg im vergangenen Jahr erlebt hat: für das Eintreffen des Adolf-Hitler-Marsches. Bis dahin musste der Nachrichtendienst klappen. Und als am 19. September 1.500 Hitlerjungen mit 400 Bannfahnen, begleitet von schneidiger Marschmusik in Landsberg einzogen, waren wir vorbereitet. Ein wirklich fabelhaftes Telefonnetz hatte unsere Schar aufgebaut. Über 1.000 Gespräche wurden damit geführt. Und für wen hat die Nachrichtengefolgschaft dies alles getan? Wir kennen nur ein Ziel: Deutschland. Und für dieses Ziel haben wir zu leben, zu kämpfen, und wenn es sein muss auch zu sterben. Wir halten den Blick auf einen Mann gerichtet, der, aus dem Volke kommend, zum Führer Deutschlands wurde: auf unseren Führer Adolf Hitler.“
Entlang des Weges durch die Stadt werden 200 Fahnen aufgestellt. An der Augsburger Strasse über die Eisenbahnbrücke nehmen die Mädchen des BDM Aufstellung. Am 15. September 1937 schreibt die „Landsberger Zeitung“: „Festliches Stadtbild bei der Kundgebung der HJ. Bei der Ankunft am Hauptplatz werden die Fahnen obergebietsweise auf dem in der Mitte des Platzes errichteten stufenförmigen Unterbau aufgestellt. Hierauf wird das Feuer in einer Opferschale, die auf einer über dem Fahnenwald emporragenden, mit Tannengrün umkleideten Säule ruht, entzündet. Die Fahnen bleiben auf dem Hauptplatz vom Samstag bis Montag früh. Außerdem wird der Fahnenblock zur Nachtzeit durch Soffitenbeleuchtung von unten angestrahlt.“
Die Stadtverwaltung stellt der Bevölkerung Dax (Tannengrün) zum Schmuck der Häuser am Samstag und Sonntag zur Verfügung. Alles ist bis in die Einzelheiten geplant:
„Im Licht strahlend weißer Scheinwerferkegel marschieren um 20 Uhr die Träger der Bannfahnen in Sechserkolonnen durch das Schmalztor, teilen sich dann in zwei Dreierkolonnen, die in zwei Säulen links und rechts auf dem Hauptplatz Aufstellung nehmen. Anschließend marschieren die übrigen Teilnehmer des Adolf-Hitler-Marsches mit Fackeln durch das Tor des Stadtverwaltungsgebäudes des oberen Teil des Platzes. An den geschlossenen Block der Marschteilnehmer reihen sich die Gliederungen der Partei und der Ehrenformationen der Wehrmacht. Die Gesamtaufstellung ist derartig angelegt, dass reichlich Platz für die Zuschauer freigehalten ist. So können beispielsweise auf Gehsteig und Strasse vor dem Rathaus, die den besten Blick auf die Feier ermöglichen, rund 4.000 Zuschauer der Kundgebung beiwohnen. Die Kundgebung auf dem Hauptplatz, die den Abschluss des Adolf-Hitler-Marsches bildet, wird vom Reichssender München auf dem Rundfunk übertragen, außerdem erfolgt die Wiederholung der Übertragung auf Schallplatten am Montag den 20. September 1937. Der Bürgermeister der Stadt, Herr Dr. Linn, und die Aufmarschleitung richtet an diesem Tag einen Aufruf an die Bevölkerung: Schmückt Häuser und Fenster! Zur Großkundgebung der Hitlerjugend am 19. September wird der Hauptplatz durch Scheinwerfer, Tiefstrahler, Pylonenfeuer und Illuminationslämpchen festlich beleuchtet. Die Anwohner des Hauptplatzes werden ersucht, ihre Fenster mit je fünf Lämpchen zu besetzen. An einem der kommenden Tage bringen die politischen Leiter diese den betreffenden Hausbesitzern, entsprechend der Fensterzahl. Es ist selbstverständlich Ehrenpflicht, dass jeder Wohnungsinhaber sämtliche Fenster, die zum Hauptplatz schauen mit der entsprechenden Anzahl von Lämpchen versieht. Gleichzeitig werden die Hausbesitzer der Stadt, besonders an den Aufmarschstrassen und am Marktplatz ersucht, die Fenster mit Tannengrün zu schmücken.“
Nichts wird dem Zufall überlassen. „Nicht weniger als 17 Scheinwerfer werfen ihr Licht auf den Hauptplatz. Der zum Fahnenstand überbaute Marienbrunnen zeigt eine architektonisch einzigartig angeordnete Aufbauweise, gekrönt von einem mit Tannengrün verkleideten Pylon, dessen Feuerschale rotes Feuer auflodern lässt, während von unten herauf die Bannfahnen der HJ mittels 400 roter Lampen umfassenden Soffitenbeleuchtung in mildes Licht getaucht werden. Der elektrische Anschlusswert dieser Hauptplatzbeleuchtung beträgt 40 KW. Wenn man bedenkt, dass die gesamte Straßenbeleuchtung nur einen Anschlußwert von 36 KW hat, kann man die ungeheure Lichtfülle, die den Hauptplatz überströmen wird, ermessen. Insgesamt sind im Stadtgebiet zur Anstrahlung der Kirchen, der Türme, Tore und des Hauptplatzes 52 Anstrahlungsgeräte aufgestellt. Landsberg wird zu einer Lichterstadt werden, die die einzigartigen Reize der alten Stadt besonders wirkungsvoll werden lässt.“
Die Teilnehmer des „Adolf-Hitler-Marsches“ müssen natürlich auch verpflegt werden. Kein schlechtes Geschäft für die Landsberger Geschäftswelt. „Es werden in der Zeit vom Samstagnachmittag bis Montag benötigt: 1.185 Liter Milch, 63 Kilo Butter, 1.580 Portionen Käse, die Portion zu je 125 Gramm, 9 Kilo Tee, 256 Kilo Zucker, 48 Kilo Schokoladenpulver, 50 Kilo Erbsenpulver mit Speck, 1.580 Portionen Streichwurst, die Portion zu je 120 Gramm, 1.580 Portionen ‚Bauernseufzer’ zu je 120 Gramm, 1.480 Portionen Regensburger zu je 100 Gramm, 1.975 Stück Brot. Die Lebensmittel werden sämtlich bei den einheimischen Geschäftsleuten eingekauft.“
Landsberger Künstler werden zur Gestaltung des Medienereignisses herangezogen. Für die Abschlusskundgebung des „Adolf-Hitler-Marsches“ wird ein Sonderstempel der Reichspost hergestellt. Darüber wird auch jenseits der Grenzen unserer Stadt auf die Bedeutung dieser Tage hingewiesen und der Blick auf Landsberg gelenkt. Kräftige Unterstützung erfahren diese Maßnahmen dadurch, dass ein Sonderstempel der Reichspost die Kunde davon in alle Gaue tragen wird. Nach den Entwürfen des Parteigenossen Waldmann, München, und durch den Kunstmaler Johann Mutter, Landsberg, ausgeführt, zeigt er in symbolischer Verschmelzung ein Gefängnisfenster und davor das Buch „Mein Kampf“, während der Text „Bekenntnismarsch der Hitlerjugend nach Landsberg“ auf die innere Verbindung der HJ mit jenen denkwürdigen Tagen der Vergangenheit hinweist und tiefe Ehrfurcht der Jugend vor der großen Zeit der Parteigeschichte zeigt.
Für das Jahr 1938 werden vom Stadtrat der Stadt Landsberg 1.500 Radierungen von Johann Mutter bestellt, die den Teilnehmern des Bekenntnismarsches ausgehändigt werden sollten. Das Ratsprotokoll vermerkt dazu: „Diese Bilder sollen mit einer kleinen Beschriftung versehen werden und die Bezeichnung ‚Landsberg, Stadt der Jugend’ auf der linken Seite des Bildes erhalten.“ Der von Johann Mutter gestaltete Stempel der Reichspost und seine Radierung wurden zu Werbeträgern für städtische Interessen.
Am Donnertag vor der Ankunft des „ Adolf-Hitler- Marsches“ wird von Obergebietsführer Hochland, Emil Klein, zur Abschlussbesprechung ins Hotel Goggl eingeladen. Klein erklärt nochmals die Bedeutung des Marsches und schließt mit den Worten: „Seien Sie glücklich, dass Sie mit Ihrer Stadt uns ein Mittel in die Hand gegeben haben, die Jugend Adolf Hitlers zu formen.“ Bürgermeister Dr. Linn dankt und verspricht “die freudigste Mitwirkung der Stadt“.
Am folgenden Tag wird in der „Landsberger Zeitung“ folgender Aufruf gedruckt:
„Wir begrüßen die Bannfahnen des Reiches! Wir begrüßen die Fahnenträger! Aus allen Teilen des Reiches tragt ihr nun die Fahnen der Jugend in einem gewaltigen Marsch nach Landsberg. Landsberg ist aus der Geschichte unserer Bewegung, aber auch dem Leben des Führers nicht wegzudenken. Landsberg, das Gefängnis des Führers, wurde zum Hort der Arbeit für das gewaltigste Werk unserer Zeit „Mein Kampf“! In einer Zeit, in der andere ihren Glauben verlieren wollten, manifestierte Hitler seinen Glauben. Er stellte der Unfreiheit seines äußeren Lebens die Freiheit des Glaubens entgegen. Dieser Glaube bezwang die Gefängniszeit und dieser Glaube siegte. Der Glaube war stärker als Gefängnismauern und Kerkergitter. Kein Ort in Deutschland lehrt uns mehr an Adolf Hitler zu glauben, als Landsberg. So wird aus eurem Bekenntnismarsch aus Nürnberg ein Marsch des tiefsten Glaubens an Adolf Hitler. Landsberg wird aber zum Wallfahrtsort der Deutschen Jugend. Wir, die Wächter von Landsberg, freuen uns euch willkommen zu heißen. Geht wieder von Landsberg und tut Kunde von dem starken Glauben des damals einsamen Adolf Hitler an sein Volk, damit stets und immer auch sein Volk an Adolf Hitler glaube – Es lebe Adolf Hitler!“
Die Presse bereitet in den folgenden Tagen auf das kommende Ereignis vor. „Landsberg in Erwartung der 1.500 Hitlerjungen“ und „Landsberg als Ziel der Deutschen Jugend“ sind die Schlagzeilen vor der Ankunft des „Bekenntnismarsches“.
Am Montag, 20. September 1937 berichtet sie über mehrere Seiten unter der Überschrift „Landsberg, Stadt der Jugend – feierlicher Abschluss des Hitlermarsches“ über alle Einzelheiten der Großveranstaltung:
Drei historische Stätten kennt die Geschichte des Nationalsozialismus. München, die Wiege der Bewegung, Nürnberg, die Stadt der größten Triumphe und Landsberg, der Ort, der die tiefste Schmach deutscher Geschichte und zugleich den Sieg des unbändigen Glaubens und eines unbezwingbaren Willens sah. Zu allen wallfahrtet das deutsche Volk, keine ist aber mehr geeignet, die Herzen einer begeisterungsfähigen Jugend zu entzünden, ihr die Seelen- und Geistesgröße des Führers eindrucksvoller vor Augen zu führen, als Landsberg mit seiner Hitlerzelle.
Ein Foto der nächtlichen Schlußkundgebung zeigt den Fahnenwald, das städtische Verwaltungsgebäude und mehrere geschmückte Häuser mit der Bildunterschrift: „Der nächtliche Hauptplatz mit den Bannfahnen der HJ. Ein Lichtermeer.“ Eines dieser Häuser war das Geschäft des jüdischen Kaufmannes Westheimer. Auch er hatte die Fenster mit Lichtern geschmückt und sogar zwei Fahnen sind zu erkennen. Die Familie Westheimer hatte sich nicht ausgeschlossen, wie mir die Gebrüder Westheimer 1989 beim Besuch Landsbergs erklärten. Henry und Lothar erzählten, dass sie interessiert dem Treiben zugesehen hätten. Auch beim zweiten „Adolf-Hitler-Marsch“ im Jahre 1938 sahen sie sich die Abschlusskundgebung vor dem eigenen Haus an. Zwei Monate später, am 11. November 1938, schrieb die „Landsberger Zeitung“, dass der Landkreis und die Stadt Landsberg „judenrein“ sind. Die Westheimers mussten die Stadt verlassen und sind über die Stadt München in die Vereinigten Staaten ausgewandert.
In der Stadtratssitzung vom Oktober 1937 berichtet der Bürgermeister von einem Brief der Reichsjugendführung in Berlin. Der Reichsjugendführer habe Landsberg als den „Wallfahrtsort der deutschen Jugend“ und die „Station der nationalsozialistischen Erziehung“ bezeichnet. Die Ernennung zur „Stadt der Jugend“ werde für Landsberg noch besonderes Gewicht haben. Landsberg sollte die größte Jugendherberge Deutschlands erhalten. Die Verwendung der Gefangenenanstalt als Herberge entspreche dem Wunsche des Reichsjugendführers. Der Reichsjustizverwaltung solle ermöglicht werden, dem „Führer“ die Gefangenenanstalt als Geschenk zu übergeben. Mit der Ausweitung des „Bekenntnismarsches“ sollten nicht nur die Marschteilnehmer jedes Jahr in Landsberg untergebracht werden, sondern das ganze Jahr über geschlossene Abteilungen der HJ nach Landsberg geführt werden, um das Geschehen der „nationalsozialistischen Erziehung“ zu erleben. „Die Ratsherren sind mit diesen Ausführungen grundsätzlich einverstanden“, schließt das Amtsprotokoll der Ratssitzung.
In dem am 8. Oktober 1937 in der „Landsberger Zeitung“ erschienen Artikel zu dieser Ratssitzung werden weitere Einzelheiten verraten, die nicht im Ratsprotokoll zu finden sind. „Bei dieser Gelegenheit spricht Dr. Linn auch die Umkleidung des Marienbrunnens an. Verschiedene Nichtberufene hätten daran Anstoß genommen, während die berufene Stelle keine Beanstandungen erhob. Die Pietät sei bestimmt nicht verletzt worden, sondern vielmehr sei dieser Rechnung getragen worden.“ Die offizielle Kirche hatte offensichtlich nichts gegen diesen Missbrauch der Marienstatue, während sich einige Bürger daran stießen.
Und das Stadtoberhaupt tadelte: „Weiter bedeute die Hitlerzelle für Landsberg kein Geschäft, sondern eine Verpflichtung der Stadtverwaltung dem ganzen deutschen Volk gegenüber.“ Die Geschäftemacherei mit dem „Bekenntnismarsch“ und der Rummel um die Hitlerzelle muss an höherer Stelle Missfallen erregt haben.
Weiter spricht die Zeitung von drei Vorschlägen, wo man die Jugendherberge in Landsberg errichten könne: in der Gefangenenanstalt, in einem Teil der Landwirtschaftlichen Lehranstalten oder als Neubau an der Buchloer Strasse. Darüber hinaus war ein Aufmarschgelände für die „Adolf-Hitler-Märsche“ geplant, das „Stadion der Jugend“, das sich über eine Länge von eineinhalb Kilometern von der Altstadt bis zur heutigen Stadtgrenze im Westen erstrecken sollte.
Im folgenden Jahr 1938 entsendet der Kreis Landsberg 87 Teilnehmer für den Reichsparteitag: „46 Marschierer, 24 Fahnenträger, 7 Nichtmarschierer und 10 Frauen.“ Aus den vier Hitlerjungen, die 1936 nach Nürnberg zum Reichsparteitag fuhren, war eine fast hundertköpfige Gruppe geworden.
Im März 1938 widmet die Heimat-, Geschichts- und Kulturzeitschrift „Bayernland“ der Stadt Landsberg eine Ausgabe mit dem Titel „Landsberg am Lech – Die Stadt der Jugend“. Gleich auf Seite 3 wird das Buch „Mit Adolf Hitler auf der Festung Landsberg“ vom Oberleutnant a. D. Hans Kallenbach ausführlich besprochen. Bürgermeister Dr. Linn beschreibt „Landsberg im Aufbau“ der nationalsozialistische städtische Kulturbeirat Dr. Fischer„Alte und neue Züge im Gesicht der Stadt“.
Im Mittelpunkt des Bayernlandheftes steht der Artikel „Landsberg, die Stadt der Jugend“ von Ortsgruppenleiter Wilhelm Nieberle: “Wir Gegenwärtigen begreifen es immer noch zu wenig, was es für uns bedeutet, dass der Führer gerade in Landsberg sein Werk „Mein Kampf“ geschaffen hat und dass so diese Zelle zu einem neuen Wallfahrtsort und noch mehr zu einer Stätte wesentlichen Geschehens geworden ist. Ein deutscher Hitlerjunge, der aber einmal zu Fuß vielleicht vom Strand der Ostsee seinen Bekenntnismarsch hierher getan hat, der wird mit dem Namen Landsberg einen unvergesslichen Begriff verbinden. Hier stehen wir vielleicht zu nahe und nur so ist es zu erklären, dass so manche Einheimische die Hitlerzelle noch nicht gesehen haben. Die deutsche Jugend aber wird in Zukunft den Namen jedes Jahr weiterhin in alle Gaue tragen.“
Natürlich darf auch eine Darstellung des „Ruethenfestes“ – eines historischen Kinderumzuges der Stadt Landsberg – nicht fehlen, die ihren Verfasser Paul Winkelmayer nach dem Krieg politisch unter Beschuss brachte. Dem Festzug wurde ein „Reichswagen“ hinzugefügt, „Landsbergs Jugend und alle Berufsstände huldigen dem Führer des neuen Deutschland.“
Unter dem Tagesordnungspunkt „Städtereklame“ teilt der Bürgermeister in der Stadtratssitzung vom März 1938 mit, „dass in den nächsten Tagen die Sondernummer im Bayernland erscheinen wird. Diese Nummer wird sicherlich allgemeine Anerkennung finden. Hiervon wurden 3.000 Exemplare – die Stadt hat 10.000 Bewohner – zum ermäßigten Preis von 70 Pfennig pro Nummer gesichert, die dem allgemeinen Verkauf, auch anlässlich des Ruethenfestes und bei besonderen Anlässen als geeignetes Werbemittel dienen sollen.“
Der „Adolf-Hitler-Marsch“ des Jahres 1938 verlief ähnlich wie 1937, nur dass die Marschierer dieses Mal nach dem Empfang an der Stadtgrenze durch Bürgermeister und Ratsherren sofort zum Festungshof zogen. Der Reichsführer forderte dort die Jugend auf: „Denkt daran so wie ihr euch in Bewegung setztet, das ganze deutsche Volk einst dem Befehl des Führers gehorchte, sich in Marsch setzte. Das ganze deutsche Volk befindet sich heute auf dem Adolf-Hitler-Marsch und das ganze deutsche Volk wird unaufhörlich seine ihm vom Führer befohlenen Strassen weiter marschieren, bis zu der Stunde, da der Führer Halt gebietet.“
Am Montag Morgen traten die Teilnehmer vom Bahnhof aus die Heimreise an. „Der gestrige Sonntag war Landsbergs größter Tag in diesem Jahr und immer wird auch der ‚Tag der Jugend’ zu den höchsten und schönsten Ereignissen gehören“ schreibt die Lokalzeitung am 19. September 1938.
In einer Hinsicht war dieser „Adolf-Hitler-Marsch“ allerdings außergewöhnlich. Die Filmkamera „marschierte mit“. Der Marsch der Hitlerjugend wurde im Film dokumentiert. Ob die Golzheimer Heide bei Düsseldorf, ob der bayerische Wald, ob die Insel Rügen, ob in der Lüneburger Heide bei den Bauern, ob an den glutenden Hochöfen, die Kamera war immer dabei. Dabei entstand ein Filmmaterial von 40.000 Metern Länge, das von den Regisseuren zu einem abendfüllenden Film geschnitten wurde. Der Film zeigt die Indoktrination der Hitlerjugend, die bombastischen Aufmärsche in Nürnberg, den nächtlichen Abschluss auf dem Hauptplatz in Landsberg.
Man kann sich vorstellen, welch großen Werbewert dieser Film für die Stadt Landsberg besessen haben muss. Es ist der erste und einzige Dokumentarfilm, der lange bis in die Nachkriegszeit hinein als einziges Filmdokument über Landsberg gedreht wurde und im Bundesarchiv in Koblenz/Berlin aufbewahrt wird. Die nach außen hin harmlos erscheinenden Bilder und die Bildführung erklären auch, wie leicht man das Denken der Hitlerjugend und der NSDAP erliegen konnte. Die Absichten, die hinter diesen Märschen standen, bleiben verborgen. Wenn Jugendliche heute diesen Film ohne Vorbereitung , ohne die Hintergründe der rassistischen, antisemitischen Politik zu kennen, sehen, können sie sich diesen Bildern nur schwer entziehen.
Am 18. Juli 1939 berichtet die „Landsberger Zeitung“: „Wir marschieren zum Führer – In den nächsten Tagen und Wochen beginnt in der Jugend des Führers ein gewaltiger Aufbruch.“ Im Vorgriff auf den Marsch der Hitlerjugend heißt es dann: „Die Abschlusskundgebung in Landsberg am Lech ist der große Nachhall des Reichsparteitages. Landsberg, das in der heroischen Geschichte des großdeutschen Reiches zum Ausgangspunkt der Besinnung eines stolzen Volkes auf sich selbst wurde.“ Die Zahl der Teilnehmer sollte auf 2.600 steigen, da die Vertreter des Sudetenlandes hinzukamen. Am 19. August 1939 steht zu lesen: „ Der Adolf-Hitler-Marsch ist höchster Ausdruck von Zucht und Einheit Deutscher Jugend. Mit diesem Marsch hat der Reichsjugendführer der Jugend die größte Freude und dem Führer das größte Geschenk übermittelt: Dieser Marsch darf nie ein Ende nehmen!“
Der Marsch findet ein jähes Ende, als Hitler am 1. September 1939 Polen überfällt und den 2. Weltkrieg beginnt. Der „Reichsparteitag des Friedens“ findet nicht mehr statt ebenso wenig der „Bekenntnismarsch“ nach Landsberg.
Nachdem der Hitlerjugend in Landsberg dieses „große Ereignis“ genommen war, hat sie sich an den „Treuemärschen“ des Gebietes Hochland beteiligt. In der Chronik und im Kriegstagebuch des Landsberger Fähnleins 2/235 „Werwolf“ ist ein solcher Treuemarsch übermittelt.
Zum 15jährigen Bestehen des Gebietes Hochland wurde der Spielmannszug der HJ Landsberg nach München eingeladen. Marschblöcke marschierten, Bannfahnen, Gefolgschaftsfahnen wurden getragen. Es wird durch das Oberland marschiert nach München zum Königlichen Platz.
Totenehrung. Der Gebietsführer kommt. Er legt zwei Kränze unter dem leisen Trommelwirbel am Ehrenmal nieder .Es ist alles still. Nur Kommandos hört man. Dann marschieren wir zur Feldherrnhalle. Dort nehmen wir Aufstellung. In der Mitte der Fahnenblock. Fanfarenklänge eröffnen die Feier. Hoch über der Feldherrnhalle weht das Banner. Eine große Menschenmenge umrahmt die Feldherrnhalle. Die Musik spielt auf. Der Gebietsführer kommt. Er spricht zu uns. Er spricht seinen Dank aus für das Opfer, das wir freudig gebracht haben. Wir sind marschiert nach München, so sie es einst taten. Unter den Klängen des Präsentiermarsches marschieren unsere Fahnen zur Feldherrnhalle empor. Dort wehen sie zwei Tage lang und die Träger halten bei ihnen Wache. Somit hat auch der Treuemarsch seinen Abschluss gefunden. Möge das Feuer, das in uns brennt, nie erlöschen, so werden die Fahnen, die Banner der Jugend weiter getragen, wie wir es taten. Treu und im Glauben an unseren Führer und an unser ewiges Deutschland.
Einige Jahre später waren wegen der Bombengefahr auch die Treuemärsche nicht mehr möglich. Um die Stadt Landsberg lagen 11 Konzentrationslager – drei alleine auf Landsberger Stadtgebiet – mit 30.000 jüdischen KZ-Häftlingen. Es gibt Zeichnungen eines dieser KZ-Lager, in deren Hintergrund die Bayerischen Berge zu sehen sind, gezeichnet mit der Abkürzung HJ. Der Landsberger Bürgermeister, der in den Jahren 1937/38 die Teilnehmer des „Adolf-Hitler -Marsches“ empfing, der sich dafür, dass seine Stadt zur „Stadt der Jugend“ ernannt worden war, bei der Reichsjugendführung bedankte, erklärte dem Leiter der „Organisation Todt“ – verantwortlich für drei Riesenprojekte von Untertagebauten – in Berlin, die Bereitschaft, 90.000 jüdische KZ-Häftlinge in Landsberg aufzunehmen, die aus der Stadt Landsberg versorgt werden könnten. Als Gegenleistung erwarteten die Landsberger Bürger die Anbindung an die Schnellzugverbindung München – Lindau. Die jüdischen KZ-Häftlinge gehörten schon bald zum Stadtbild der Stadt: man sah sie auf den Straßen, den Brücken und KZ-Frauen mussten in den Gaststätten Küchenarbeit leisten.
Am 25. März 1945, noch kurz vor dem Kriegsende, werden in Landsberg Vierzehnjährige in die Hitlerjugend aufgenommen und vereidigt. Als München und Augsburg schon durch Bombenangriffe der Alliierten zerstört sind, wird in der „Stadt der Jugend“ diese Jugend weiter angehalten, ihr Leben „für Führer, Volk und Vaterland“ zu opfern.
Die feierliche Verpflichtung findet um 20.15 im Olympiatheater – einem Kinosaal – durch den Kreisleiter von Moltke statt.
Der Schreiber Rudolf Praetorius: „Der Führer ist stolz auf diese Jugend und wir müssen es nicht weniger sein, denn gerade in unseren Tagen hat es sich erwiesen, dass auf die Jugend in ihrer Gesamtheit Verlass ist. Der Sechzehnjährige, welcher die Einberufung kaum erwarten kann… ist der Sohn einer harten Zeit. Dieser Sechzehnjährige ist nicht die Ausnahme, sondern er ist der Prototyp des Hitlerjungen schlechthin…die dem Führer einen heiligen Eid leisten durften und die stolz darauf sind, an all die Aufgaben herangeführt zu werden, die unserer Hitlerjugend erst die höchste Bewährung ermöglichen, sind aus dem selben Holze, wie die, die jetzt schon an allen Fronten gegen einen ausbündigen Feind kämpfen. Auch diese Vierzehnjährigen sind durch die harte Schule unserer Zeit gegangen und ihre Herzen glühen nicht weniger als die der ganzen deutschen Jugend…Gläubigen Herzens und voll Siegeszuversicht will die Jugend an ihrer Zukunft bauen, für die ihre Väter alles zu opfern bereit waren.“
Neben diesem Bericht steht ein langer Artikel „Hitlerjungen erzählen, wofür sie das Eiserne Kreuz erhielten“. Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt: am 27. April befreien alliierte amerikanische und französischen Einheiten die 11 jüdischen KZ-Lager des KZ-Lagers Kaufering; sie dringen in die „Wallfahrtsstätte des Nationalsozialismus“ im Landsberger Gefängnis ein und befreien die Stadt Landsberg von der Naziherrschaft. Die deutschen Truppen sprengen auf dem Rückzug mit Bürgern die zwei Zugangsbrücken in die Stadt über den Lech, um diesen Vormarsch zu verhindern. Am 27. April 1945 sind alle frei: die jüdischen KZ-Häftlinge und die Bürger der Stadt Landsberg.
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