von Manfred Deiler.
Erstveröffentlichung in: Landsberg im 20. Jahrhundert – Themenhefte zur Landsberger Zeitgeschichte – Heft 3: „Der nationalsozialistische Wallfahrtsort“ Landsberg: 1933 – 1937: Die „Hitlerstadt“ wird zur „Stadt der Jugend“ -ISBN: 3-9803775-2-0.
Ebenso wenig wie der Nationalsozialismus vom Himmel fiel, war es ein Zufall, daß Landsberg 1937 den nationalsozialistischen Ehrentitel „Stadt der Jugend“ verliehen bekam. Schon frühzeitig erkannte das verschlafene Kleinstädtchen, welch immenses Kapital in der Tatsache steckte, daß Hitler während seiner Landsberger Festungshaft „Mein Kampf“ verfaßte. Sofort nach Hitlers „Machtergreifung“ beginnt Landsberg sich als „Hitlerstadt“ und „Geburtsstätte des Nationalsozialismus“ zu vermarkten.
Am Montag, den 8. Oktober 1934, durchfährt am frühen Nachmittag eine Autokolonne das östliche Stadttor Landsbergs. Die vier offenen Mercedes-Benz-Kraftwagen quälen sich im Schritttempo die wegen ihrem starken Gefälle gefürchtete Bergstraße hinunter und durchqueren die Altstadt. Draußen, bei der Gefangenen- und Festungshaftanstalt hält der Konvoi an. Autotüren werden aufgerissen, Befehle hallen durch den Hof. Eilig wird Gefängnisdirektor Schlager herbeigeholt. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich unter den Bediensteten die Nachricht, daß der „Führer“ zu einem unangemeldeten Besuch eingetroffen sei, um die Festungshaftanstalt zu besichtigen. Im Gefolge Adolf Hitlers befinden sich seine „ehemaligen Mitgefangenen“ Oberführer Julius Schaub und SS-Standartenführer Emil Maurice. Beide waren wie Hitler wegen des Putschversuches am 8. November 1923 verhaftet und wegen Hochverrats zur Festungshaft in Landsberg verurteilt worden.
Direktor Schlager läßt es sich nicht nehmen, die prominenten ehemaligen Festungshäftlinge und ihr Gefolge durch die Festungshaftanstalt zu führen. Hitler „besichtigt eingehend die Haftstube, in der er damals untergebracht war„, trägt sich in das Besucherbuch ein und „begrüßt dann zwei Strafanstaltsbeamte„, die „den Führer schon während seiner Haftzeit kennen und schätzen lernen“ durften. Seine ehemalige Zelle und der Festungstagesraum ist ein „Ort nationaler Verehrung“ geworden. Eine lorbeerumrahmte Gedenktafel erinnert die Besucher daran, daß hier „ein ehrloses System Deutschlands größten Sohn“ gefangenhielt. Die Hitlerzelle war im Begriff, ein fester Bestandteil des „Führerkultes“ im Deutschen Reich zu werden. Adolf Hitler selbst bezeichnete seine Haft in Landsberg „als die schwerste Zeit seines Lebens“ und empfand sie als demütigende „Schmach„, die ihm angetan worden war.
Daß Hitler insbesondere zu der Zeit, als er seine Macht noch nicht gefestigt hatte, an diesen Makel seiner Biographie nicht gerne erinnert werden mochte, versteht sich beinahe von selbst. Schon sehr früh wurden daher Mythen und Legenden geschaffen, die die Zeit „der größten Schmach des Führers“ verklärten. Daran, daß die Hitlerzelle zur „deutschen Kultstätte“ hochstilisiert wurde, hat die Stadt Landsberg einen nicht unerheblichen Anteil. Im Frühjahr 1933, nachdem Hitler am 30. Januar von Hindenburg als Reichskanzler ernannt worden war, erinnerten sich einige findige Landsberger was ihre Stadt mit dem neuen „Führer und Reichskanzler“ verband.
Bereits einen Monat, nachdem die SA im Landsberger Rathaus aufmarschiert und „auf höhere Veranlassung“ die einstweilige Beurlaubung des 1. Bürgermeisters Dr. Ottmar Baur und den Rücktritt des 2. Bürgermeisters Benedikt Hagg durchgesetzt hatte, bringt die nationalsozialistische Fraktion im Landsberger Stadtrat einen Antrag ein. Sie schlägt unter anderem vor, „Reichskanzler Hitler, zum Ehrenbürger der Stadt Landsberg zu ernennen„. Weiter solle zu Ehren Hitlers die Katharinenstraße in „Adolf-Hitler-Straße“ umbenannt werden. Die fünf Stadträte der Bayerischen Volkspartei und die beiden Stadträte der SPD stimmen den vorgeschlagenen Ehrungen „debattelos zu“ und der 1. kommissarische Bürgermeister Dr. Georg Kraus versäumt nicht daraufhinzuweisen, „daß Landsberg damit dem Mann eine Ehre erwiesen habe, dem es zu danken ist, daß der Stadtrat in der jetzigen Zusammensetzung zustande gekommen sei.“ Der praktische Arzt Dr. Kraus, der inzwischen den Platz des „beurlaubten“ Bürgermeisters Dr. Bauer eingenommen hat, mußte es wissen, schließlich spielte er in der Entwicklung der „nationalen Bewegung“ in Landsberg eine führende Rolle. Bereits im Juni 1923, keine fünf Monate vor Hitlers Putschversuch, hält derselbe Dr. Kraus als Vorsitzender des Bundes „Bayern und Reich“ zur Einweihung des Landsberger Schlageter-Denkmals die Gedenkrede für den „Helden von Rhein und Ruhr„, der noch vor wenigen Monaten als Terrorist Züge, Brücken und Geleise in die Luft gesprengt hatte. Für Dr. Kraus ist Albert Leo Schlageter „der erste Kämpfer für das Dritte Reich“ der durch den „feigen Verrat marxistischer Buben“ den „Märtyrertod für Deutschland“ gefunden hat. Einige Monate später, am 26. April 1924 besucht Dr. Kraus Hitler in der Zelle 7 in der Festung Landsberg. Sicherlich nicht nur deshalb, um ihm sein Mitgefühl auszudrücken.
Unter dem kommissarischen Bürgermeister Dr. Kraus beginnen auch die ersten vorsichtigen Versuche, Hitlers Festungshaft mit der Geschichte Landsbergs zu verknüpfen und zu instrumentalisieren. Am 20. April 1933 wird anläßlich des „Geburtstages des Reichskanzlers“ eine Erinnerungseiche „in den Leyboldanlagen, nahe der Gefangenen- und Festungshaftanstalt Landsberg“ gepflanzt. Die Landsberger „SA-Kapelle, gefolgt von SA und SS-Abteilungen, der Hitlerjugend, dem Stahlhelm und den militärischen Vereinen der Stadt und des Männergesangvereins Gemütlichkeit“ marschiert um 18.30 Uhr zu dem „mit Fahnen umsäumten Platz“ vor die mit einem „Kranzgewinde“ geschmückte Hitlerzelle. Dr. Kraus, in Begleitung von Vertretern des Offizierskorps des Standorts und der Behörden, hält die Festansprache. Er schildert den „Werdegang“ Hitlers und endet mit den Worten: „Landsberg wurde damals zur Stadt Hitlers und sie soll es auch fernhin bleiben. In Landsberg entstand Hitlers großes Werk „Mein Kampf“. Hier arbeitete er weiter an der nationalen Einigung des Volkes. Ihm zu Ehren pflanze ich die Eiche auf gewissermaßen historischen Boden, im Angesicht der Zelle, die Hitler beherbergte. Die Eiche möge emporwachsen und möge immer künden von Deutschlands nationaler Wiedergeburt.“ Mit einem „dreifachen, begeistert aufgenommenen Sieg Heil auf den Reichskanzler“ und dem „Horst-Wessellied“ endet die Veranstaltung.
Schon fünf Tage später, am 25. April 1933, berichtet der „Oberbayerische Generalanzeiger“, daß die Hitlerzelle in der Festungshaftanstalt der „Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ und so wiederhergestellt werden soll, „wie sie während der Festungshaft des jetzigen Reichskanzlers ausgestattet war.“
Eifrig bemüht, auf die „Bedeutung Landsbergs“ und die „Hitlerzelle“ hinzuweisen, entwickelt Dr. Kraus abenteuerliche Ideen. So überredet er die Besatzung des am Starnberger Sees wassernden Großflugzeuges Do X nach Landsberg zu fliegen und „zu Ehren des Reichskanzlers Adolf Hitler über der Festungshaftanstalt Landsberg eine Schleife zu ziehen. „Die Hitlerzelle, als „Geburtsort der Ideen des Nationalsozialismus“ bietet die bisher ungeahnte Möglichkeit, das „verträumte Landstädtchen Landsberg“ aus seinem Schlummer zu wecken. Und so beginnen die Landsberger Stadtväter mit dem Slogan „Landsberg die Hitlerstadt“ die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen. Landsberg ist stolz, in die „Geschichte der nationalsozialistischen Bewegung einbezogen und damit mit der Geschichte Deutschlands verknüpft zu sein„. So ist es kein Wunder, daß die Nachricht, die in der Stadtratssitzung am 1. Juni 1933 verlesen wird, wie eine Ohrfeige für die publicitysüchtigen Stadtväter wirkt. Hitler, der neue Ehrenbürger Landsbergs, läßt dem Stadtrat durch Albert Bormann folgendes mitteilen: „Die augenblicklich starke Überlastung der Kanzlei macht zurzeit eine sofortige Bestätigung der täglich für den Führer in großer Zahl eingehenden Anträge um Annahme der Ehrenbürgerschaft, Ehrenbürgerurkunden usw. unmöglich. Da der Führer aufs äußerste in Anspruch genommen ist, werden die antragstellenden Körperschaften gebeten, sich noch kurze Zeit zu Gedulden. Ein persönliches Dankschreiben des Reichskanzlers geht Ihnen so bald als möglich zu.„
Daß Hitler sich bei der Vielzahl der Ehrungen mit denen er 1933 überhäuft wird, zurückhaltend verhält, ist nicht weiter verwunderlich. Alleine aus taktischen Gründen kann er es sich zu dieser Zeit nicht leisten, einzelne Städte bevorzugt hervorzuheben und damit andere zurückzusetzen.Für die ehrgeizigen Pläne der Vertreter der selbsternannten „Hitlerstadt Landsberg“ bedeutet Hitlers zögernde Zurückhaltung einen Rückschlag. Daß der neue Ehrenbürger die ihm zugedachte Ehrung als „Antrag“ werten würde, der erst seiner „Bestätigung“ bedurfte, hatte wirklich niemand gerechnet. Die Vorstellung, Hitler könne diese Auszeichnung vielleicht gar nicht annehmen, bereitete sicherlich einigen Ratsherren schlaflose Nächte. Die Blamage wäre unvorstellbar gewesen.
Bürgermeister und Stadtrat entwickeln außergewöhnlich starke Aktivitäten. Keine Gelegenheit wird versäumt, die Rolle Landsbergs in der Geschichte des Nationalsozialismus und die Bedeutung der Hitlerzelle herauszustellen.Während dieser Zeit löst der Notariatsassessor, Dr. Ernst Schmidhuber aus Bad Aibling den praktischen Arzt Dr. Georg Kraus als Bürgermeister ab. Schon in seiner Antrittsrede gibt Dr. Schmidhuber zu erkennen, daß er die Politik seines Vorgängers fortzusetzen gedenkt. „Damit jeder Fremde sogleich erkenne, daß er in die Hitlerstadt komme, wehe von heute an vom Bayertor die Hitlerfahne“.
Was unter Dr. Kraus zaghaft begonnen wurde geht nun Schlag auf Schlag. Am 31. Juli 1933 geistert die „halbamtliche Meldung“ durch die Landsberger Presse, daß „der Raum, in dem Adolf Hitler während seines Aufenthalts in der Festungshaftanstalt Landsberg weilte, seinem ursprünglichen Zweck entzogen wird„. Diese, „für die deutsche Geschichte so hochbedeutsame Stätte“ soll am 9. November zusammen mit einer Gedenktafel vom Bayerischen Staatsminister der Justiz, Dr. Frank, „seiner neuen Bestimmung übergeben“ werden. Bereits vier Tage nach dieser Meldung treffen die ersten „Wallfahrer“ zur Hitlerzelle in Landsberg ein. Über jeden dieser Besuche wird in der Landsberger Presse genauestens Bericht erstattet. Einer der prominentesten Besucher ist Reichs-SS-Führer Heinrich Himmler. Zu dieser Zeit werden auch die ersten Gruppenreisen in die Landsberger Festung organisiert.
Der Tag der „feierlichen Übergabe der Hitlerstube“ rückt immer näher und die Stadt rüstet sich für die Feierlichkeiten. Oberlehrer Karl Spöttel studiert eigens für diesen Ehrentag mit siebzig Mitwirkenden das Singspiel „Hochzeit auf der Schildwache“ ein.In diese Vorbereitungen platzt am 27. Oktober 1933 die Nachricht, daß „wegen des um die Zeit des 12. November stattfindenden Wahlkampfes die offizielle Übergabe der historisch gewordenen Hitlerzelle an einem späteren, noch festzusetzenden Tage und dabei in einfacher Art und Weise erfolgen soll„. Hitler selbst „bedauerte lebhaft, daß es ihm nicht möglich sei, mit seinen Getreuen von 1923 einen Tag in Landsberg verbringen zu können„.
Wieder hatte Hitler den Stadtrat vor den Kopf gestoßen. Die Hoffnung, daß „der Führer“ seine Ehrenbürgerurkunde während der feierlichen Übergabe der Hitlerzelle persönlich in Empfang nehmen würde, war endgültig dahin. Einige Wochen später, in der Stadtratssitzung vom 18. Januar 1934, teilt Bürgermeister Dr. Schmidhuber mit knappen Worten mit, daß „die feierliche Übergabe der Hitlerstube an die Öffentlichkeit gänzlich unterbleiben wird„. Ohne offiziellen Pomp wird „die Hitlerstube nun auch der Landsberger Bevölkerung zum Besuche freigegeben.“ Die Landsberger Bürger schaffen es dennoch eine Art „Hitlertourismus“ in Gang zu bekommen.Bei der Tagung des Verkehrs- und Verschönerungsvereins am 20. Februar 1934 nimmt man kein Blatt vor den Mund. Stadtrat Nieberle macht ohne Umschweife „auf die Bedeutung Landsbergs, als Stadt, in der der Reichskanzler seine Festungshaft verbrachte“ aufmerksam. Seine Erkenntnis gipfelt in der Aussage, daß „jeder Fremde, der Landsberg besuche, den Umsatz in der Stadt hebe.“ Alle waren sich darin einig, das „alles in Landsberg zusammenarbeiten müsse, um Fremde hierher zu bringen.“ „Die Hebung des Fremdenverkehrs“ war damals die Losung, um die am Boden liegende Wirtschaft zu beleben.
Dann, nach fast einem Jahr, ist es endlich soweit. Am 15. März 1934 wird in der Stadtratssitzung ein Dankschreiben des Führers verlesen. Hitler hat die Ehrenbürgerschaft angenommen und übermittelt dem Stadtrat seinen „ergebendsten Dank und besten Glückwünsche für das Blühen und Gedeihen der Stadt„. Die hochfliegenden und ehrgeizigen Pläne der Volksvertreter erhalten weiteren Auftrieb.
Als am 15. April 1934 fünfhundert „Parteigenossen der Zelle 34“ aus München die Stadt besuchten, um die Hitlerzelle zu besichtigen, läßt es sich Bürgermeister Dr. Schmidhuber nicht nehmen, die Gäste in der „Hitlerstadt Landsberg“ persönlich willkommen zu heißen und der „Oberbayerische Generalanzeiger“, der mit überschwenglichen Worten diesen Besuch kommentiert, weiß am nächsten Tag zu berichten, daß das „südbayerische Rothenburg wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwacht ist„.
Die Zeit der „Massenbesuche“ ist angebrochen und Landsberg rührt fleißig die Werbetrommel. Kontakte zur Organisation „Kraft durch Freude“ sind längst aufgenommen und man erwartet steigende Besucherzahlen. In der Frühjahrsversammlung der Landsberger Gastwirte wird das angestrebte Ziel offenkundig: Landsberg muß „in den Kreis der Ausflugsorte miteinbezogen werden„. Die inzwischen „vielen Voranmeldungen zum Besuch der Hitlerzelle“ stellen die Gastwirte vor eine schwierige Aufgabe. Sie sind für einen derartigen Massenansturm noch nicht vorbereitet und können „in ihren eigenen Lokalen“ nur insgesamt „136 Personen unterbringen„. Die übrigen Besucher können nur „in privaten Quartieren beherbergt werden„.
Als am 13 Mai 1934 ein Sonderzug am Bahnhof mit 700 Gästen aus Rosenheim eintrifft, ist man gerüstet. Die Reichswehrkapelle und Bürgermeister Dr. Schmidhuber stehen zum Empfang bereit. Die Stadt „prangt im Flaggenschmuck“ und nach der Begrüßungsansprache marschieren alle zusammen zum Hauptplatz. Von dort werden „die Gäste auf die verschiedenen Gaststätten verteilt„. Die Kassen klingeln und die „Hitlerzelle“ ist die Attraktion für die auf Landsberg einströmende Besucherflut. Auch die Jugend wird in den Kult um die Hitlerzelle einbezogen. Am 9. Juni 1934 wird das Bannschulungslager II der Hitlerjugend auf dem kleinen Exerzierplatz vor der Turnhalle errichtet. 300 Buben werden von der Stadt Landsberg beherbergt und die Besichtigung der Hitlerzelle ist einer der Höhepunkte dieser Tage.
Aber nicht nur deutsche Besucher pilgern zur Hitlerstube. Als im September die Teilnehmer des „internationalen Straßenbaukongresses“ zu einem Kurzbesuch in Landsberg eintreffen, bezeichnet dies der Bürgermeister „als besondere Ehre für die Stadt Landsberg“ und die lokale Presse berichtet ausführlich darüber.Die „Hitlerstadt“ läßt jetzt keine Gelegenheit mehr ungenutzt, immer wieder darauf hinzuweisen, daß Landsberg der „Geburtsort der Ideen des Nationalsozialismus“ sei. Inzwischen hat dieser Leitgedanke auch außerhalb Landsbergs seine Anhänger gefunden. Staatsminister Esser, der im September 1934 die „Braune Messe (Eine Leistungsschau von Handel und Gewerbe) in Landsberg eröffnet, bezeichnet Landsberg als „einen Markstein in der Geschichte der Bewegung“ des Nationalsozialismus. „Landsberg darf stolz darauf sein, in die Geschichte der Bewegung einbezogen zu sein und damit mit der Geschichte des deutschen Volkes verknüpft zu sein.„
Wenige Tage später, am 22.9.1934, besucht Justizminister Dr. Frank die „Hitlerstadt„. Bürgermeister Dr. Schmidhuber hält im Beisein der wichtigsten Vertreter der Landsberger Bürger die Begrüßungsansprache im Festsaal des Rathauses.
„Es ist mir eine hohe Ehre, Sie als Gäste in der Stadt, die eine 1000jährige Geschichte hat, begrüßen zu dürfen, in der Stadt, die auch ein Markstein in der neuen Geschichte unseres Vaterlands ist. Hier in Landsberg schrieb der Führer hinter Festungsmauern sein herrliches Werk „Mein Kampf“. Die Festungsanstalt möge später zu einem Ehrenhause des Nationalsozialismus werden, wenn einmal nicht mehr Verbrecher ihre Strafe dort abbüßen müssen. Dann, wenn durch die neue Justiz, die wir Herrn Staatsminister verdanken, die Gefangenenanstalt überflüssig werde, möge sie der deutschen Jugend als Heimstätte gegeben werden„.
Dr. Frank, der „alte Mitkämpfer des Führers‘“ ist gerührt, dankt für die herzliche Begrüßung und erklärt kurzerhand „den Raum, den der Führer in der Festungshaft innehatte“ zum „Nationalheiligtum„. Zusammen mit Bürgermeister Dr. Schmidhuber und den Vertretern der Stadt besichtigt der Justizminister anschließend das frischgebackene „Nationalheiligtum“ und trägt sich in das „goldene Besucherbuch“ ein.
Und endlich – am 8. Oktober 1934 stattet der Landsberger Ehrenbürger Adolf Hitler der Festungshaftanstalt Landsberg einen Besuch ab. Gegen 16.20 Uhr verläßt der „Führer“ die Haftanstalt. Zehn Minuten später hält die Kolonne der vier Mercedes-Benz-Kraftwagen vor dem „Café Deible“ in der Landsberger Altstadt. Die Nachricht: „Der Führer ist in Landsberg!“ verbreitet sich in Windeseile in der Stadt. Die Menschen laufen zusammen, jeder möchte den „Führer“ sehen. „Herkommerstraße und Hauptplatz legen in aller Eile Flaggenschmuck an.“ Lehrer stellen sich mit ihren Schülern „spalierbildend bis zum Hauptplatz“ auf. Der Bürgermeister und die Vertreter der Behörden werden aus ihrer Ruhe gerissen. Eilig hasten sie zum „Café Deible„, um dort dem Deutschen Reichskanzler ihre Aufwartung zu machen. Doch Hitler verläßt bereits 25 Minuten später die Stadt, ohne die ihm bereits vor eineinhalb Jahren verliehene Ehrenbürgerurkunde in Empfang zu nehmen.
Möglicherweise mißfiel ihm die Art wie die „Hitlerstadt“ den „nationalen Wallfahrtsort Hitlerzelle“ vermarktete und sein Verhalten war die Quittung dafür, daß den Landsberger Stadtvätern jedes Mittel recht schien, die Kassen zu füllen. Der „Rat der Stadt“ übersendet Hitler am 20. Dezember 1934 „den bisher in der Hoffnung auf eine persönliche Überreichungsmöglichkeit verwahrten Ehrenbürgerbrief mit dem Gelöbnis unverbrüchlicher Treue.“ Auch in den kommenden Jahren stattet der „Ehrenbürger“ der Stadt Landsberg keinen offiziellen Besuch ab. Seine „überraschenden und unangemeldeten“ Kurzbesuche in der Lechstadt am 17. April 1936 und am 18. November 1938 gelten ausschließlich der Festungshaftanstalt mit der Hitlerstube.
Genauere Details über seinen ersten Besuch dringen nicht an die Öffentlichkeit und die Landsberger Presse berichtet vierzehn Tage später: „Der kürzlich erfolgte Besuch des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler gab der Geburtsstadt der nationalsozialistischen Bewegung erst die richtige Weihe und so strömten viele hundert Besucher mit heller Begeisterung zur Festungshaftanstalt …„. Die Besucherzahlen steigen kontinuierlich. Ob Gruppen-, ob Einzelreisende, einfache „Volksgenossen“ oder nationalsozialistische Prominenz – jeder ist in der „Hitlerstadt“ willkommen und trägt zur Umsatzsteigerung bei. Weite Teile der Bevölkerung profitieren mittlerweile vom Aufschwung der Stadt. Bei der Tagung des „Ruethenfestvereins“ am 15. März 1935 spricht man ungeniert „von den Reklamemöglichkeiten, die alle restlos für das Kinderfest (link) ausgenutzt werden müssen, zumal für Landsberg mit der Hitlerstube, die im Jahr 1934 allein über 10.000 Besucher aufwies, die Reklame besonders aufgezogen werden kann„. In der Jahreshauptversammlung des Landsberger Verkehrsvereins am 3. April 1935 hebt Dr. Schmidhuber den „Werbewert der Hitlerstube“ hervor, schwärmt von den Werbemöglichkeiten „in Zeitschriften, Zeitungen, auf Plakaten, im Rundfunk und Film„. und spricht der Geschäftsführung mit dem Hinweis, daß die vielen Gäste „hauptsächlich durch die starke Werbetätigkeit des Verkehrsvereins nach Landsberg gebracht wurden„, seinen Dank aus.
Mit dem Aufruf: „Landsberg muß die Stadt der Massenbesuche werden„, beginnt der Verkehrsverein die Landsberger Bevölkerung auf die beginnende Touristensaison vorzubereiten. Am 6. Mai 1935 ergießen sich aus einem Sonderzug 2000 Gäste über die Stadt. Es wird ein erfolgreiches Jahr.
Landsberg gibt sich mit dem bisher erreichten nicht zufrieden und beginnt „all die anderen Schönheiten Landsbergs aufzuzählen und hervorzuheben„.
„Landsberg die Hitlerstadt, Landsberg die Stadt im Grünen und Landsberg das südbayerische Rothenburg„, lautet das neue Werbekonzept der Stadt. Doch die Hitlerzelle bleibt der Magnet für die Besucherströme. In seinem Rechenschaftsbericht kann der „Verkehrsverein“ am 28. März 1936 stolz von 37.700 Gästen berichten, die 1935 „in geschlossener Form nach Landsberg kamen„. Acht Monate später, am 28. November 1936 wird öffentlich bekanntgegeben, daß im Jahr 1936 „60.000 Kraft durch Freude Teilnehmer die Führerzelle und 7.108 Teilnehmer das Landsberger Rathaus besucht haben„. „Durchschnittlich sind jeden Sonntag 600 bis 800 Personen in dem Raum, der dem Führer Aufenthalt war und in dem das große Werk „Mein Kampf“ entstand„, schreibt am 17. August 1937 die „Landsberger Zeitung“. Am 27. Mai 1939 berichtet die örtliche Presse von „100.000 Volksgenossen„, die zur Hitlerstube pilgerten. Für die Bevölkerung der „Hitlerstadt“ sind die Ereignisse der Jahre 1933 bis 1939 ein wahres Wirtschaftswunder. „Ohne Hitler wäre Landsberg eine friedliche, historische und landschaftlichen Schmuck bergende Stadt geblieben, ein Ort der sich unter vielen schönen Städten des deutschen Reiches immer würde sehen lassen können, – aber auch nicht mehr. Mit Hitler ist es der Ort der nationalsozialistischen Wallfahrt und ein Symbol neuen Anfangs geworden.“ heißt es in der „Landsberger Zeitung“ am 18. Mai 1936 zur Eröffnung des Kreisparteitages der NSDAP. Beinahe in allen Reden und Ansprachen, sei es von Vertretern der Stadt, Offizieren des Standorts, in Gliederungen der NSDAP, bei Vereinsabenden oder in Betrieben wird jetzt Landsberg als „Hitlerstadt„, „Stadt des Führers„, „Markstein in der Geschichte des Nationalsozialismus„, „Nationaler Wallfahrtsort„, „Nationales Heiligtum“ oder „Geburtsort der Ideen des Nationalsozialismus“ bezeichnet. Der Rat der Stadt sieht endlich eine Chance, sich „vom Schlag, welcher der Stadt durch die Bahn vor Jahrzehnten versetzt wurde“ wieder zu erholen (Die Hauptlinie war an der Stadt vorbei verlegt worden). Jetzt endlich werden die Bahnverbindungen verbessert und weitere Kraftpostlinien der Post und der Bahn eingerichtet. Die „Reichsmusterstraße nach München“ und die „Neue Bergstraße“ sind bereits im Bau. Am 20. November 1936 ist es endlich soweit. Bürgermeister Dr. Schmidhuber gibt bekannt, daß „Landsberg nach einer Entschließung des Staatsministerium für Wirtschaft zur Fremdenverkehrsgemeinde erhoben“ wurde und sich „dieses Prädikat durch die hohe Zahl der Fremdenübernachtungen und durch den großen Fremdenbesuch und Durchgangsverkehr verdient“ hat.
Die Stadt expandiert. In der Schwaighofsiedlung, Hindenburgsiedlung und Frontkämpfersiedlung entstehen neue Wohnungen. Die Bürgersteige sind befestigt und die spärliche Straßenbeleuchtung wurde erneuert. Als im Februar 1937 die „Neue Bergstraße“ feierlich eingeweiht wird, hat sich die Altstadt verändert. Das Werbekonzept „Hitlerstadt“ ist aufgegangen.
Die Jugend wird mehr und mehr in den „Kult um die Hitlerzelle“ einbezogen. 1937 marschieren erstmals Abordnungen der Hitlerjugend im Anschluß an den Reichsparteitag in Nürnberg mit 480 Bannfahnen in einem „Dank- und Bekenntnismarsch“ zur Führerzelle. Landsbergs neuer Bürgermeister, Dr. Karl Linn, heißt die 1800 Hitlerjungen im Namen der „Stadt Adolf Hitlers“ willkommen. Reichsjugendführer Baldur von Schirach begrüßt Abordnungen der Hitlerjugend (link) im Hof der Festungshaftanstalt und spricht bei der Abschlußkundgebung am 19. September 1937 auf dem Hauptplatz in Landsberg. In seiner Rede bezeichnet er Landsberg als den „Wallfahrtsort der Deutschen Jugend“ und als „Station der nationalsozialistischen Erziehung„. Der Begriff „Landsberg, die Stadt der Jugend“ wird geboren und prangt schon am nächsten Tag als fette Schlagzeile auf der Titelseite der „Landsberger Zeitung“. Im Leitartikel wird Landsberg als eine der „drei historischen Stätten in der Geschichte des Nationalsozialismus“ herausgehoben: „München, die Wiege der Bewegung, Nürnberg, die Stadt ihrer größten Triumphe und Landsberg, der Ort der die tiefste Schmach deutscher Geschichte und zugleich den Sieg eines unbändigen Glaubens und eines unbezwingbaren Willens sah.„
Am 7. Oktober 1937 gibt Bürgermeister Dr. Karl Linn im Stadtrat bekannt, daß „der Tag von Landsberg aus Anlaß des Bekenntnismarsches noch viel größer ausgebaut werden soll. 10.000 Hitlerjungen aus dem Gebiet sollen von nun an jedes Jahr mit den Marschteilnehmern in „der Stadt der Jugend“ versammelt werden. Der Reichsjugendführer habe zum Ausdruck gebracht, daß Landsberg nun die größte HJ-Herberge Deutschlands erhalten soll„. Von jetzt an sollen nicht nur jedes Jahr die Marschteilnehmer in Landsberg untergebracht, sondern auch „das ganze Jahr über geschlossene Abteilungen der Hitlerjugend nach Landsberg geführt“ werden. Die Reichsjustizverwaltung plant ernsthaft, „dem Führer die Gefangenenanstalt Landsberg zum Geschenk zu machen„. Es ist der „Lieblingswunsch“ des Reichsjugendführers, die Haftanstalt als HJ-Herberge und HJ-Schule auszubauen. Es ist fast so, als könne der neue Bürgermeister die Gedanken „seiner Landsberger“ lesen, denn er ermahnt sie eindringlich, daß die „Hitlerzelle für Landsberg kein Geschäft, sondern eine Verpflichtung der Stadtverwaltung gegenüber dem ganzen deutschen Volke“ sein solle. Diese Äußerung Dr. Linns ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß die Art und Weise wie inzwischen in der „Stadt des Führers“ die Hitlerzelle vermarktet wurde, Mißfallen erregt hatte.
Die Hitlerzelle ist nun „nationales Heiligtum“ und „gehört dem ganzen deutschen Volk„. Die Durchführung der Abschlußkundgebung des „Adolf-Hitler-Marsches“ im Jahre 1938 wird von der Reichsjugendführung und der Kreisleitung organisiert. Bürgermeister, Stadtrat und Bürgerschaft wirken überwiegend im Hintergrund und sind hauptsächlich für die „Ausschmückung der Stadt“ verantwortlich. Der Ansturm auf die Hitlerzelle ist indessen so groß geworden, daß die Öffnungszeiten verlängert werden müssen. Statt bisher täglich vier Stunden, steht ab dem 4. August 1938 das „Nationalheiligtum Führerzelle“ zwölf Stunden der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Die Medien Rundfunk und Film haben sich längst der „Stadt der Jugend“ und dem „Wallfahrtsort Hitlerzelle“ angenommen und machen „mit eindrucksvollen Berichten“ auf die Stadt am Lech aufmerksam. Die Besucherzahlen in der „Hitlerstadt“ erreichen ihren Höchststand. Täglich pilgern durchschnittlich 274 Menschen zur „Führerzelle„. Am 3. August 1939 erreichen 440 italienische Jungfaschisten, als Sendboten der befreundeten Nation Italien, mit ihren Fahrrädern die „Stadt der Jugend„. Deutsche und italienische Fahnen wehen über Landsberg und „grüßen“ die Teilnehmer dieser „Freundschaftsfahrt„. Die örtliche Presse heißt die „Gioventu Italiana del Littorio“ mit einem Grußwort Benito Mussolinis willkommen. Der „Begrüßungsartikel des Kreisleiters“ wird in italienischer und deutscher Sprache abgedruckt. „Überall säumen die Menschen die Straßen“ und winken mit grünweißroten Fähnchen der Fahrradkolonne zu. Als die faschistische Jugend „im Laufschritt im Festungshof einzieht“ wird sie von Kreisleiter Joachim von Moltke auf dem „geweihten Boden der Festungshaftanstalt“ begrüßt: „Hier in Landsberg hat der Führer des deutschen Volkes sein Manifest geschrieben und nun ist Landsberg, wie der Führer voraussagte zum Wallfahrtsort der deutschen und diesmal auch der Jugend des befreundeten Italiens geworden.“
Zum Abschluß wird jedem der faschistischen Offiziere in der Führerzelle eine italienische Ausgabe des Buches „Mein Kampf“ überreicht.“ Als die Jugendlichen und der Gauleiter von Verona, Federale Sandro Bonamici, unter begeisterten „Heil Duce„-Rufen die Stadt verlassen, ist die Hitlerzelle zum Wallfahrtsort der faschistischen Jugend Italiens geworden. Einen Monat später, am 1. September 1939, um 4.45 Uhr überfallen deutsche Truppen Polen. Der 2. Weltkrieg beginnt. Der „Adolf-Hitler-Marsch„, der bereits begonnen hat, wird abgebrochen. Die große Abschlußkundgebung in Landsberg „fällt aus.“ Der „Polenfeldzug“ steht nun im Mittelpunkt des Interesses der Bevölkerung. Der Fremdenverkehr bricht gänzlich zusammen. „Landsberg, die Hitlerstadt“ verschwindet aus den Schlagzeilen der Medien. Das Volk hat jetzt andere Sorgen.Nach 1945 gerät die Stadt durch die Greuel in den umliegenden 11 Konzentrationslagern und seinem Kriegsverbrechergefängnis erneut in die Schlagzeilen. Diesmal sind es die Schlagzeilen der Weltpresse. Der Jugend der Nachkriegsjahre will man weismachen, daß die Stadt mit all den Geschehnissen nichts zu tun hat. Eine Mauer des Schweigens wird aufgerichtet, es wird verdreht und geschönt. Vor allem diejenigen, die den Grundstock für ihr Vermögen in den Jahren 1933 bis 1939 legten, diejenigen, die vom „Wallfahrtsort Landsberg“ am meisten profitierten, haben daran größtes Interesse. Inzwischen ist die Adolf-Hitler-Straße wieder zur Katharinenstraße umbenannt und der „Ehrenbürger“ Adolf Hitler wurde aus den Annalen der Stadt gestrichen. Der Ort, an welchem sich das „nationale Heiligtum Hitlerzelle“ befand, wurde umgebaut und ist heute ein moderner Fertigungsbetrieb in der Justizvollzugsanstalt Landsberg. Heute, wie damals, ist die Stadt ein Fremdenverkehrsort. Die einstige „Hitlerstadt„, das „südbayerische Rothenburg„, ist heute zur „romantischen Stadt am Lech“ geworden und wirbt mit dem Slogan „Romantik am Lech, bei Tag und bei Nacht“ um ihre Gäste.
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